25. 08. 2023
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Kündigung eines Lehrers wegen „Impfung macht frei“-Video unwirksam

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Kündigung eines Lehrers für unwirksam erklärt, der ein Video mit einem Bild des Tors eines Konzentrationslagers und dem Schriftzug „Impfung macht frei“ auf YouTube veröffentlichte. Das Arbeitsverhältnis wurde jedoch auf Antrag des Landes Berlin zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegen eine Abfindung von etwa 72.000 Euro aufgelöst (Urteil vom 15.06.2023, Aktenzeichen 10 Sa 1143/22 ).

Hintergrund: Lehrer äußert sich kontrovers zu Impfpolitik

Im Juli 2021 veröffentlichte ein Lehrer aus Berlin ein YouTube-Video, in dem er die Impfpolitik der Bundesregierung kritisierte. Das Video zeigte das Tor eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug „Impfung macht frei“ statt „Arbeit macht frei“. Daraufhin kündigte das Land Berlin dem Lehrer außerordentlich und fristlos sowie hilfsweise fristgemäß. Das Land argumentierte, er würde staatliche Impfwerbung mit Unrechtsherrschaft und Konzentrationslagern gleichsetzen und somit die Unrechtstaten der Nationalsozialisten verharmlosen.
Der Lehrer berief sich auf seine Meinungs- und Kunstfreiheit und sah in seinem Video keine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung, sondern lediglich scharfe Kritik.

Weitere Kündigung wegen neuer Äußerungen

Im Juli 2022 veröffentlichte der Lehrer ein weiteres Video, in dem er die Corona-Impfung mit totalitären Regimen verglich. Das Land Berlin kündigte daraufhin erneut fristlos und hilfsweise fristgemäß und sah eine eindeutige Verharmlosung des Holocaust und einen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Der Lehrer betonte, es handle sich um seine persönliche Meinung ohne Zugehörigkeit zum Land Berlin.

Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Abfindung

Zusätzlich zu den Kündigungen beantragte das Land Berlin in beiden Fällen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Kündigungsschutzgesetz gegen Zahlung einer Abfindung. Es führte schwerwiegende Gründe an, die eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten ließen.

Entscheidung der Gerichte

Das Arbeitsgericht Berlin entschied, dass die erste fristlose Kündigung wirksam sei und das Video eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust darstelle.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hingegen erklärte beide Kündigungen für unwirksam. Es konnte keine eindeutige Überschreitung der Meinungsäußerungsfreiheit feststellen. Dennoch wurde das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 72.000 Euro aufgelöst, da eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für das Land Berlin unzumutbar sei.

Fazit und Einordnung in den arbeitsrechtlichen Diskurs

Die Urteile des Arbeitsgerichts Berlin und des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in dem Fall des Lehrers, der wegen umstrittener YouTube-Videos gekündigt wurde, werfen ein Licht auf die komplexe und oft kontroverse Balance zwischen Meinungsfreiheit und arbeitsrechtlichen Pflichten.
Einerseits bestätigte das Arbeitsgericht Berlin die Wirksamkeit der ersten außerordentlichen Kündigung und stellte fest, dass das Video des Lehrers eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust darstelle. Dies verdeutlicht, dass die Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis zwar grundsätzlich geschützt ist, jedoch ihre Grenzen hat, insbesondere wenn es um die Verherrlichung oder Verharmlosung von historischen Verbrechen geht.
Andererseits entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, dass die Kündigungen des Lehrers unwirksam seien, da eine eindeutige Überschreitung der Meinungsäußerungsfreiheit nicht festgestellt werden konnte. Das Gericht betonte, dass auch Lehrer als Arbeitnehmer dieselben Rechte auf freie Meinungsäußerung haben wie andere Beschäftigte. Dies verdeutlicht, dass die Meinungsfreiheit auch im Arbeitsverhältnis eine hohe Bedeutung hat und nicht leichtfertig eingeschränkt werden sollte.
Die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und arbeitsrechtlichen Pflichten ist ein komplexes Thema, das immer wieder in der arbeitsrechtlichen Praxis auftritt. Die Gerichte müssen sorgfältig abwägen, ob eine Meinungsäußerung als geschützte Meinung oder als Verletzung von arbeitsrechtlichen Pflichten einzustufen ist. Hierbei spielen der Kontext, die Art der Äußerung und die Position des Arbeitnehmers eine wichtige Rolle.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Entscheidungen in diesem Fall nicht bedeuten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer uneingeschränkt alles sagen können. Beleidigungen, Verleumdungen oder rassistische Äußerungen sind nach wie vor nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und können arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.
Die beiden Urteile zeigen, dass es bei der Beurteilung von Meinungsäußerungen im Arbeitsverhältnis auf eine differenzierte und sorgfältige Prüfung der Umstände ankommt.

Sprechen Sie uns gerne an, wenn Sie mit einer derartigen Problematik konfrontiert sind. Wir helfen Ihnen gerne weiter.